Das Bundesarbeitsgericht hatte im Jahre 2012 darüber zu entscheiden, ob die Kündigung einer Grundschullehrerin zulässig ist, die mehreren Schülern den Mund mit einem durchsichtigen Tesafilm zugeklebt haben soll.
The boy's mouth by red tape
Hier ist nicht so interessant, ob die Kündigung letztlich Bestand hat, weil der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden muss. Viel wichtiger sind vielmehr die Ausführungen, die das Gericht zur Frage macht, wie das mögliche Verhalten der Grundschullehrerin zu beurteilen ist.

Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine verhaltensbedingte Kündigung zulässig, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist.  Kann künftiges vertragstreues Verhalten des Arbeitnehmers jedoch mit milderen Mitteln erreicht werden, sind diese anzuwenden, z.B. durch Versetzung  oder Abmahnung.

Nach dem Schulgesetz und den landesrechtlichen Regelungen des beklagten Landes gehört es zum Erziehungsauftrag einer Grundschullehrerin, die Schüler zur Achtung der Würde des Menschen, zur Selbstbestimmung, zur Anerkennung und Bindung an ethische Werte, zum verantwortlichen Gebrauch der Freiheit und zu friedlicher Gesinnung zu erziehen. Ordnungsmaßnahmen sind zulässig, wenn dies zur Sicherung der Unterrichts- und Erziehungsarbeit oder zum Schutz von Personen oder Sachen erforderlich ist. Die Würde der Schülerin oder des Schülers darf durch Ordnungsmaßnahmen nicht verletzt werden. Eine körperliche Züchtigung von Schülern ist unzulässig. Kränkende, ehrverletzende Äußerungen, Drohungen und Einschüchterungsversuche sind untersagt.

Danach – so stellt das Gericht fest – ist das Zukleben eines Schülermundes mit Tesafilm zweifellos kein zulässiges Erziehungsmittel.

Das Gericht lässt offen, ob eine solche Handhabung den Tatbestand der körperlichen Bestrafung oder seelischen Verletzung erfüllt. Regelmäßig wird darin jedenfalls eine entwürdigende Maßnahme liegen, weil Kinder hierdurch zum Gespött anderer Personen, insbesondere von Freunden oder Klassenkameraden werden und deren Verachtung ausgesetzt sind, so dass Selbstachtung und Ehrgefühl des betroffenen Kindes erheblich beeinträchtigt werden (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB, der einem Kind auch im Verhältnis zu seinen Eltern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung einräumt).

Es kommt nicht darauf an, ob die entwürdigende Maßnahme vom betroffenen Kind tatsächlich als Verletzung aufgefasst und gefühlt oder ob sie als „spaßig“ empfunden wird. Entscheidend ist ihre objektive Eignung als entwürdigend (Huber/Scherer FamRZ 2001, 797, 799).

Wenn die Grundschullehrerin Schülern zum Zwecke der Disziplinierung die Münder mit einem Streifen Tesafilm verklebt hätte, hätte sie damit massiv gegen ihre Pflichten als Erzieherin verstoßen, was eine Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigen würde. Einer Abmahnung hätte es dann vor Ausspruch einer Kündigung nicht bedurft.

Auch angesichts einer langen Dienstzugehörigkeit der Grundschullehrerin zerstörte ein solcher Missgriff in ihren Erziehungsmethoden das Vertrauen des beklagten Landes in ihre von dem nötigen Respekt vor der Verletzlichkeit und Würde der ihr anvertrauten jungen Personen getragene Grundhaltung in irreparabler Weise.

BAG, Urteil vom 19. 4. 2012 – 2 AZR 156/11

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